Die karolingische Aachener Marienkirche, die heute als Aachener Dom bekannt ist, folgt einer byzantinischen Bautradition, unterscheidet sich aber in der Wahl des Baumaterials deutlich von römischen Bauten. Während in der römischen Antike Ziegel das bevorzugte Baumaterial darstellten, setzte man beim Bau des Aachener Doms hauptsächlich auf Naturstein. Besonders Grauwacke und Trachyt prägen die Struktur. Insgesamt wurden im Dom mehr als 30 verschiedene Steinarten verbaut. Das Grauwackemauerwerk besteht hauptsächlich aus Bruchsteinen, während an statisch wichtigen Stellen, wie den Eckbereichen des Westbaus und des 16-Ecks sowie den Fensterlaibungen, auch sorgfältig behauene Werksteine verwendet wurden. Einige dieser Steine stammen noch aus der Zeit Karls des Großen, und viele dieser Steine wurden im Laufe der Jahrhunderte erneuert.

Besonders bemerkenswert sind die im Aachener Dom verbauten Spolien aus römischer Zeit. Diese wiederverwendeten Steine lassen sich oft an einem Wolfsloch erkennen, einer Öffnung an der Oberseite des Steins, in die eine Öse mit Keilen eingebracht wurde. Mithilfe dieser Öse konnte der Stein durch einen Hebemechanismus bewegt und in das Mauerwerk eingefügt werden. Die Wiederverwendung römischer Steine war in der Karolingerzeit von großem Vorteil, da es damals aufwändig war, neue Steine passgenau zu bearbeiten. So gelangten einige Steine aus der römischen Siedlung in Aachen in das Mauerwerk der Marienkirche.

Zahlreiche der ursprünglichen Werksteine im Mauerwerk des Domes sind wiederverwendete Steine. (Fotos © Lydia Konnegen)

Ein besonders bedeutendes Beispiel für die Wiederverwendung römischer Steine im Aachener Dom ist der Weihestein für den römischen Gott Merkur. Dieser wurde 1910/11 im Fundament des karolingischen Baus vor dem östlichen Umgangsjoch gefunden, im Rahmen einer großen archäologischen Untersuchung des Kircheninneren und angrenzender Bereiche, an der auch der Karlsverein beteiligt war.

Zu den besonderen römischen Spolien aus dem Aachener Dom zählt der Merkurstein (Foto © Lydia Konnegen)

Der Weihestein, der mit der Inschrift nach oben im Fundament entdeckt wurde, ist ein gut erhaltener Zeuge des religiösen Lebens in Aachen zur Römerzeit. Seit 2014 wird er im Neuen Aachener Stadtmuseum, dem Centre Charlemagne, ausgestellt. Derzeit ist er Teil der Ausstellung „Wer schreibt, der bleibt“, die sich mit der Alphabetisierung der Gesellschaft zur Zeit der Römer befasst. Die römische Gesellschaft setzte damals Grundfähigkeiten wie Lesen, Schreiben und die Kenntnis der lateinischen Sprache voraus, um am täglichen Leben teilzunehmen.

Karl der Große förderte ebenfalls die Alphabetisierung. Er ließ mit der karolingischen Minuskel eine neue Schreibschrift entwickeln. Noch im höheren Alter versuchte Karl das Schreiben zu erlernen, obwohl er als Herrscher auf eine Vielzahl von Schreibern zurückgreifen konnte und diese Fähigkeit eigentlich nicht selbst beherrschen musste.